Bereits der Titel des Films IL MIO VIAGGIO IN ITALIA deutet an, dass es sich hierbei um eine sehr persönliche Reise Martin Scorseses handelt, mit sehr eigenen Erfahrungen. Auch die im Vor- und Nachspann verwendete Musik – Viaggio a Donnafugata von Nino Rota – weist auf das Thema einer sentimentalen Reise in die Vergangenheit hin, deren Last und Kraft ihre Auswirkung auf Gegenwart und Zukunft haben.
Martin Scorseses erste Erfahrungen mit dem italienischen Film sind, wie er gleich zu Beginn von IL MIO VIAGGIO IN ITALIA erzählt, untrennbar mit der eigenen Familie verbunden, die als italienische Aussiedler in Little Italy im New York der 40er und 50er Jahre lebte. Wie viele Immigranten der ersten Generation weigerten sich die Scorseses, Englisch zu lernen. In den vierziger Jahren kam ein Fernsehkanal auf die Idee, Filme im italienischen Original zu zeigen. Die Kopien waren meistens sehr schlecht, oft ungenügend synchronisiert, immer wieder durch Werbepausen unterbrochen und häufig auch noch gekürzt. Dennoch eröffneten diese Filme dem Kind Martin Scorsese eine neue Welt.
In einem ruhigen, beständigen Erzählfluss, der aus langen Passagen von Filmausschnitten, präzisen Beschreibungen und eigenen Analysen besteht, berichtet Scorsese von der Bewusstwerdung der eigenen Wurzeln, die mit der Entdeckung eines Landes und einer Tradition einhergeht, die voller Mythen und Geschichte ist. Es waren vor allem zwei Arten von Filmen, die ihm diese Entdeckung ermöglichten. Auf der einen Seite stehen die epischen Filme wie LA CORONA DI FERRO (1941) von Alessandro Blasetti oder CABIRIA (1914) von Giovanni Pastrone, Filme, die von der Antike handeln, von Mythen, wunderbaren Figuren und fantastischen Welten, in die sich der Zuschauer flüchten kann. Auf der anderen Seite sind es die Filme des Neorealismus wie PAISÀ (1946) oder LADRI DI BICICLETTE (1948) von Vittorio de Sica, die eine Lebenswirklichkeit zeigten, die auch den italienischen Auswanderern bekannt war – die fortdauernde Geschichte des Überlebens.
Die Filme, die Scorsese für IL MIO VIAGGIO IN ITALIA auswählte, stehen ganz im Mittelpunkt, und so gewährt er ihnen genug Filmzeit, um die je eigene Handschrift der Regisseure und den Stil ihrer Filme wirken zu lassen. Die Reise beginnt mit den ersten Filmen des befreiten Italiens, mit Roberto Rossellinis ROMA CITTÀ APERTA (1945) und PAISÁ, und endet mit Federico Fellinis OTTO E MEZZO (1963). In diesem »Film über das eigene künstlerische Dilemma« sieht er »die reinste Liebeserklärung an das Kino, die ich kenne«.
Im Zentrum von Scorseses italienischem Filmuniversum stehen aber eindeutig die Filme Rossellinis, zu denen er immer wieder zurückkehrt. Nicht zuletzt ist auch der von Scorsese gewählte Filmtitel IL MIO VIAGGIO IN ITALIA eine Verbeugung vor dem 1953 entstandenen und besonders von den Regisseuren der Nouvelle Vague hochgeschätzten VIAGGIO IN ITALIA Roberto Rossellinis.